Ein gefährlicher Paradigmenwechsel: Die Menschenwürde als Objekt der Staatsräson
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem aktuellen Beschluss zur Kriegsdienstverweigerung eines ukrainischen Kriegsdienstverweigerers eine unerwartete Entscheidung getroffen: Er ordnet das individuelle Grundrecht des Einzelnen der kollektiven Staatsräson unter. Wer als Soldat oder Reservist im Kriegsfall den Dienst an der Waffe verweigert, kann sich nach Auffassung des BGH nicht mehr uneingeschränkt auf sein Grundrecht berufen. Das Gericht bricht damit mit einer zentralen Errungenschaft des Grundgesetzes: der Menschenwürde als unantastbarem Abwehrrecht gegen den Staat.
In Deutschland galt bislang: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist der Kern aller Grundrechte und schützt den Einzelnen vor einem Staat, der ihn für seine Zwecke instrumentalisiert. Besonders das Recht auf Kriegsdienstverweigerung war eine Konsequenz aus der Erfahrung des Nationalsozialismus – einer Epoche, in der Menschen nicht mehr als Individuen, sondern als bloße Funktionsträger des Staates behandelt wurden.
Vom Schutz der individuellen Freiheit zur Pflicht gegenüber dem Kollektiv
Mit der Entscheidung des BGH zeigt sich ein beunruhigender Wandel im Rechtsverständnis. Die Frage ist nicht mehr, wie der Staat die Freiheit des Individuums schützen kann. Vielmehr wird geprüft, inwieweit der Einzelne zur Erhaltung des Kollektivs verpflichtet werden kann. Diese Umkehrung des Grundrechtsverständnisses hat eine lange Vorgeschichte, die in den Corona-Jahren ihren sichtbarsten Ausdruck fand.
Die Corona-Pandemie als Wendepunkt
Mit den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wurde erstmals auf breiter Ebene ein neuer Rechtsgedanke etabliert: Nicht mehr der Staat musste seine Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen rechtfertigen, sondern der Bürger musste beweisen, dass er dem Allgemeinwohl nicht schadete. Die individuelle Selbstbestimmung wurde durch ein abstraktes „Gesundheitsinteresse der Gemeinschaft“ ersetzt. Der Mensch wurde nicht mehr als selbstverantwortliches Subjekt betrachtet, sondern als Objekt staatlicher Fürsorge und Kontrolle.
Genau dieses Denken spiegelt sich nun im Beschluss des BGH wider. Wenn der Staat sich in einer „existentiellen Krise“ befindet – sei es eine Pandemie oder ein Krieg –, dann soll das Individuum seine Grundrechte nicht mehr als Schutzschild gegen staatlichen Zugriff nutzen können. Stattdessen wird es zur Erfüllung staatlicher Zwecke verpflichtet. Die Lehre aus Corona war klar: Wer sich auf seine Freiheit beruft, stellt sich gegen das Allgemeinwohl – eine Logik, die nun auf den Kriegsdienst übertragen wird.
Die gefährliche Konsequenz: Der Staat über die Würde des Einzelnen
Mit dieser Entscheidung verabschiedet sich der Bundesgerichtshof von einem der zentralen Grundpfeiler des deutschen Verfassungsrechts. Die Menschenwürde, die in Artikel 1 des Grundgesetzes als unantastbar erklärt wurde, wird nicht mehr als individuelles Schutzrecht verstanden. Sie wird vielmehr relativiert, wenn es das mutmaßliche Überleben des Staates verlangt.
Das hat tiefgreifende Folgen:
- Die Kriegsdienstverweigerung wird faktisch ausgehöhlt. Wer einmal Soldat oder Reservist war, kann in einer Krisensituation nicht mehr sicher sein, dass sein Gewissen Vorrang hat.
- Asyl für Kriegsdienstverweigerer wird erschwert. Menschen, die aus autoritären Staaten fliehen, weil sie nicht für ein Regime kämpfen wollen, haben künftig schlechtere Chancen auf Schutz in Deutschland.
- Die Tür für weitere Grundrechtseinschränkungen steht offen. Wenn der BGH einmal akzeptiert, dass Grundrechte in Krisen suspendierbar sind, was hält den Staat dann davon ab, dies in anderen Bereichen auszuweiten?
Die Würde des Menschen darf nicht verhandelbar sein
Der Beschluss des BGH ist mehr als nur eine juristische Entscheidung – es ist ein Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels, in dem die Freiheit des Einzelnen zunehmend als störend für das große Ganze betrachtet wird.
Doch gerade in Krisenzeiten zeigt sich, ob eine Gesellschaft ihre Werte ernst nimmt. Wer die Würde des Menschen wirklich achtet, darf sie nicht an Bedingungen knüpfen. Das Grundgesetz wurde als gegenentwurf für eine Zeit geschrieben, in der die Staatsräson über das Individuum triumphierte – es war eine bewusste Absage an diese Logik. Dass höchste Richter nun genau diesen Gedanken umkehren, zeigt, wie tief der Paradigmenwechsel bereits verankert ist.
Wenn sich dieser Trend fortsetzt, dann ist nicht nur die Kriegsdienstverweigerung in Gefahr – sondern die Menschenwürde selbst.
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Bildnachweis: Erbgroßherzogliches Palais mit Brunnen, Foto von Joe Miletzki
Lieber Ralf !
Wir würden uns freuen, wenn Du unsere AfA-Presseerklärung zu der BGH-Entscheidung auch auf Deinem Kanal veröffentlichen könntest. Die PE findest Du in unserem AfA-Telegram-Kanal (26.02.2025).
Beste Grüße.
Christian / AfA e.V.
Grundrechte sind unantastbar
Unsere Demokratie, unser Rechtstaat nimmt eine gefährliche Abzweigung Richtung dunkle Vergangenheit.